Pressestimmen 2023

RHV – 17.07.2023

Absurd-abgedrehtes Komödientreiben

„Der Floh im Ohr“ ist rasantes, witziges Sommertheater mit treffsicheren Pointen und bösen lnsiderscherzen

ROTH – Absurd. Aberwitzig. Abgedreht.Die Reihe der Adjektive ließe sich beliebig fortsetzen, die das Besondere beim „Floh im Ohr“ beschreiben. Das Stück stellt die Stabilität des Zwerchfells auf eine harte Probe, auch die Gesichtsmuskeln haben zu tun. Daran hat sich 20 Jahre, nachdem der „Floh“ im Schlosshof debütierte, nichts geändert.

Der Stil des neuen Regisseurs Tobias Kilian unterscheidet sich dennoch erheblich von dem Komödien-Ideal, das sein Vorgänger Werner Müller über die Jahre prägte. Kilian ist tendenziell detailverliebter und er gestaltet manche Szene mit fühlbarer Lust an der Groteske aus, wobei er das Ensemble einschließlich Gesangsquintett „Les Pinsons“ um Günter Fink stets hinter sich weiß. Eine der prägenden Figuren verkörpert Frank Harzbecker mit dem Versicherungs-Direktor-Neffen Camille Chandebise. Der junge Mann hat einen fürchterlichen Sprachfehler, der seine Verständlichkeit auf Null reduziert.

Durch einen künstlichen Gaumen „gesundet“ er, muss die Prothese aber regelmäßig reinigen, wie ihm der schräge Mediziner Dr. Finache (umwerfend komisch: Klaus Metzger) empfiehlt. Das Reinigungs-Ritual mutiert zu einer Szene aus Doktor Frankensteins Horror-Labor mit Harzbecker/Camille als irrem Wissenschaftler, bei dem das Kukident-Glas zum Reagenzbehälter wird.

Wunderbar unwahrscheinlich auch Fedeaus Idee, dass der honorige Versicherungsdirektor Victor-Emmanuel Chandebise und der trunksüchtige Poche, Kammerdiener in der zweifelhaften Absteige „Zum Galanten Kätzchen“ sich wie ein Ei dem anderen gleichen. Da steht die Tür weit offen für haarsträubende Verwechslungen – und Armin Gsänger bekommt Gelegenheit, in seiner Doppelrolle dem Comedy-Affen ordentlich Zucker zu geben. Fast erwartet man, dass er am Schluss des Stückes zweimal auf der Bühne steht.

Der Spiegel, den Georges Feydau im 19. Jahrhundert der dekadenten Gesellschaft vorhielt, er ist auch über 100 Jahre später nicht zum Zerrspiegel verkommen. Die Scheinheiligkeit, der laxe Umgang mit ehelicher Treue und Aufrichtigkeit sind auch im 21. Jahrhundert scheinbar unausrottbare Zivilisationsphänomene. Die von Tobias Kilian mithilfe der von Werner Müller gewohnt ironisch eingerichteten Textfassung des „Flohs“ treffsicher und streckenweise recht boshaft auf den Punkt gebracht werden.

Das inkludiert auch Insiderscherze: „Freudenhäuser gibt es in Roth nicht, nur Edelhäus(s)er“, ätzt „Kätzchen“-Boss Augustin Ferraillon alias Gerhard Michal, der mit Docky Schattner als seine Ehefrau Olympe einen äußerst schlagkräftigen „Sidekick“ hat. Und der mit dem auf das Ex-Stadtoberhaupt bezogenen Wortspiel die Lacher auf seiner Seite weiß. Da grinst auch Edelhäußer-Nachfolger Andreas Buckreus in der ersten Reihe.

Für den „Floh im Ohr“ fuhr Textautor Georges Feydeau eine nachgerade riesige Besetzung auf, bei der sich Tobias Kilian die Mühe gemacht hat, selbst Komparsenrollen zu vollwertigen Figuren auszugestalten. Da bekommen die halbseidenen „Haustöchter“ – Alina Lauterbach, Petra Hoefer und Esther Schattner – noch Kontur, der skurrile Cameo-Auftritt des Sadismus-Protagonisten Sacher-Masoch (Friedrich Bechthold) so etwas Ähnliches wie einen Sinn, die Figur des halbnackten Amerikaners Rugby (Thomas Juraschek) einen handlungstragenden Aspekt. Lachen macht auch Thomas Schattner als verhinderter Hausfreund Romain Tournet.

Das Sahnehäubchen sind gleichwohl die Damen der „feinen Gesellschaft“, von Beate Hammerl als bissige Raymonde Chandebise über Karin Winterhager als genervte Spanier-Ehefrau Lucienne Homenides de Histangua bis zu Julia Metzger als kokette Hausdame Antoinette und Claudia Harzbecker als resolute „Kätzchen“-Managerin Eugenie. Powerfrauen, gegen die ihre männlichen Gegenstücke oftmals wortwörtlich als aussehen.

Hans von Draminski


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